Als Begriff macht das Wörtchen ‘Gamification’ derzeit eine rasante Karriere in der Geschäftswelt. In den Berufsalltag wird allerlei Allotria eingeflochten, das einst für Computerspiele erfunden wurde: Fortschrittsbalken, Highscores oder Belohnungssysteme. Das Problem besteht immer darin, dass diese Elemente auf einer ‘linearen Ebene’ installiert werden. Das Management weiß schon vorab, welche Unternehmensziele verfolgt werden sollen, der ‘Spieler’ – vormals ‘Angestellter’ – verfolgt dann die engen Schluchten einer ‘gescripteten Entwicklung’, er vollzieht spielerisch nur Erwünschtes nach, und macht keinerlei ‘Open-World-Erfahrungen’, die doch erst den Reiz eines guten Computerspiels ausmachen.
Eins vorab: Ich selbst spiele, sofern ich Zeit finde, gern Rollenspiele (CRPGs) auf dem PC … und ich halte einige von ihnen tatsächlich für geeignete Lerninstrumente – gerade auf dem Gebiet ambivalenter moralischer Entscheidungen. Die meisten Rollenspiele sind genau dies allerdings nicht. Allen voran die üblichen koreanischen Free-to-Play-Grinder, wo der Spieler in knallbunter Optik sich in endlos langweiligen Aufgaben verzettelt: Metzle zehn hiervon, besorge acht davon … gähn! Das gilt auch für so genannte Action-RPGs wie ‘Diablo III’, wo der Spieler durch enge Schlauch-Level hetzt, immer auf der Jagd nach einem übermächtigen Gegner, dem so genannten ‘Boss-Gegner’. Aufstiege, bessere Waffen und Rüstungen können letztlich jeden Spieler nur mittelfristig motivieren. So viel zum Thema ‘Incentives’ …
Anders sieht die Situation bei den so genannten Open-World-Spielen aus, für die vor allem die Firma ‘Bethesda’ steht, mit den Titeln der Elder-Scrolls-Reihe oder der Fallout-Serie. Wahlweise in einem postnuklearen oder aber in einem mittelalterlichen ‘Setting’ hat diese Programmschmiede die Spielwelt wahrhaft revolutioniert. Der Spieler wählt anfangs Name, Herkunft und Aussehen – und wird dann in eine völlig unerforschte Welt geworfen, die er frei erkunden darf, von der er zunächst so gut wie nichts weiß: Die Welt wird zum ‘Sandkasten’.
Tausende von virtuellen Mitspielern (NPCs) bevölkern jene Welten, die sich buchstäblich über Hunderte von Quadratkilometern erstrecken können. Der Spieler darf nach Osten laufen oder in den Süden, er kann mit jenem reden oder ihn links liegen lassen, er kann diesem ‘Quest’ nachgehen oder es auch bleiben lassen, die lineare Haupthandlung wird immer mehr zur Nebensache, es gibt kein ‘Ziel’, sondern nur eine Welt, in der es sich zu behaupten gilt. Läuft der Spieler in den Untergang, dann hat er hoffentlich rechtzeitig gespeichert. Es regiert das ‘Fisherman’s-Friend-Prinzip’: “Waren sie zu stark, dann warst du (noch) zu schwach”.
Der Reiz solcher Spiele liegt im Neuen und Unerforschten, man möchte hierhin vordringen und jene Stadt endlich auf den Radar bekommen. Man kann diese Gruppe oder aber eine andere bei ihren Betrebungen unterstützen. Denn derartige Welten sind in ihrer besten Ausprägung weder ‘gut’ noch ‘böse’, jedes Anliegen ist berechtigt und zugleich auch nicht. So sind bspw. in ‘Skyrim’ die Freiheitskämpfer zunächst scheinbar gut, bis man auf massive faschistoide und rassistische Tendenzen in ihrer Ideologie stößt. Die Gegenspieler vom Kaiserreich vertreten dagegen zentralistische Law-and-Order-Gesichtspunkte, die sich bald als ein diktatorisches Folterkammer-System entpuppen. Während die Mitglieder der Diebesgilde demgegenüber ein völlig anarchisches Verhalten aufweisen, das auf einer materialistischen Grundlage beruht – gut ist dort, was dem Portfolio dient.
Wo alles verkommen und ‘schlecht’ ist, darf sich der Spieler natürlich in einem Open-World-Scenario auch als Holzfäller in die Wälder zurückziehen und an seinen handwerklichen Fähigkeiten schrauben – befriedigend ist das auf die Dauer aber nicht, vor allem dann, wenn plötzlich die Assassinen Frau und Kinder meucheln oder die Hütte abfackeln. Dann schwillt dem friedlichsten Holzfäller der Kamm. Ständig steht der Spieler daher in einer moralisch uneindeutigen Welt vor drängenden Entscheidungen, er kann ihnen nicht ausweichen. Fast wie im richtigen Leben …
Die Spieler selbst treiben dieses Open-World-Prinzip noch weiter auf die Spitze. Denn ‘Bethesda’ ist klug genug, seinen Anhängern die Engine und einen ‘Construction Set’ zum Experimentieren zur Verfügung zu stellen. Tausende, von ‘Mods’, ‘Overhauls’ und anderen Erweiterungen wachsen so heran – alles umsonst und für jeden herunterzuladen. Solche Rollenspiele werden damit zu einem echten ‘Social Medium’, zu dem was Facebook so gern sein möchte. In diesen Erweiterungen werden alle Entscheidungen zumeist moralisch noch fragwürdiger, wer jemals das Total Overhaul ‘Nehrim’ für Bethesdas ‘Oblivion’ spielte, weiß, wovon die Rede ist. Der ‘Held’ macht sich hier komplett selbständig, so als müsste er in einem Roman nicht länger dem Script des Autors folgen. Das Computerspiel wird zu einer völlig neuen und viel freieren Literaturform. Passt jemandem die Handlung nicht, schreibt er sich selbst ein Mod.
Übertragen auf die Welt der Unternehmen hieße dies, dem ‘Gamer’ – vormals ‘Angestellten’ – eben jene Freiheit im Spiel einzuräumen, die aus einem Stück Software erst ein richtig gutes Rollenspiel macht – ihn also von der Leine des Chefs und ‘Hauptprogrammierers’ loszulassen, damit er selbst entscheiden kann. Auch an den Schulen wären Rollenspiele ein fantastisches Instrument, um mit motivierten Schülern moralische Fragen an persönlichen Erlebnissen durchzudeklinieren. Mit einer Fortschrittsanzeige aber und einem Level-Aufstieg ist es nicht getan, auch nicht mit einer angeblichen ‘Gamification’, die noch längst keine ist …
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