Der Mensch löse sich zusehends von seinen sozialen Bindungen und vereinsame (‚Minimum‘, 2006), der informationelle Overkill vernichte unsere kognitiven Fähigkeiten (‚Payback‘, 2009), die Spieltheorie aus dem kalten Krieg erzeuge den marktkonformen Kapitalismus, wo wir nolens volens alle zu egoistischen ‚Role Models‘ werden müssen (‚Ego‘, 2013) – der durchgängige Kassandraton ist die große Konstante in Frank Schirrmachers Büchern. Dieser leitmotivische Wagner-Sound eines drohenden Untergangs jener Welt, wie wir sie kannten, macht ihn zum konservativen Vordenker der Republik. Anlässe und Ursachen aber wechseln wie das Pret-à-Porter auf einer Modenschau, wobei allenfalls das Internet die immergleiche Bühnendekoration bietet.
Jetzt also hat er die Mathematiker zu fassen, die seltsamerweise bei ihm als ‚Atomphysiker‘ oder ‚Quants‘ figurieren. Mein Bruder, der Mathematikprofessor, würde ihm für diese Eskamotage was husten: Physiker und Informatiker – meint der nämlich – seien bloß jene niederen Klempnergesellen, bei denen es zur höheren Mathematik nicht gelangt habe.
Hier als Referenz die etwas vereinfachte Grundthese Schirrmachers: Die sozialtheoretischen Gewinnberechnungen ‚machtpolitischer Spiele‘ aus der Zeit der Chrujstschow- und Breschnjew-Ära konnten deshalb ganz stiekum in die Ökonomie einsickern, weil die RAND Corporation und andere Denkfabriken ihren mathematischen Spezialisten dort nach der Implosion des Sowjet-Imperiums nicht mehr genügend Arbeitsmöglichkeiten boten. So migrierten diese Algorithmen-Bändiger in die Bankentürme, um dort ihr Spiel der Spieltheorie fortzusetzen, als einen ‚kalten Krieg‘ auf ökonomischer Grundlage.
Geboren wurden dort jene Algorithmen, auf denen der Sekundenhandel, die Rohstoffwetten und anderes Allotria heute beruhen. Hierbei legen diese Masterminds ein ‚EGO‘ als durchgängiges Menschenbild zugrunde, sie gehen also von einem eher unangenehmen Typen aus, der als Massenmensch immerfort nur seinen eigenen ökonomischen Vorteil verfolge – für ihn würden alle Mitmenschen zu ‚Sowjets‘ des Marktes, die es zu besiegen gelte. Dieses ökonomische Monadentum, so Schirrmacher, sei schrecklich. Also nicht die Akkumulation von Kapital sei zu verurteilen, sondern die massenhafte Existenz solcher Figuren fern aller Humanität, wie auch das frankenstein’sche Fortleben des ‚Kalten Krieges‘ auf den Teppichetagen der Banken:
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