Mich ärgert die erwiesene Unfähigkeit zur gesellschaftlichen Analyse in allen deutschen Medien, soweit es die erneut aufgeflammten Demonstrationen in Thailand betrifft.
Zunächst einmal ist Thailand ein soziologisch zutiefst gespaltenes Land: Es gibt mehrheitlich eine rurale bäuerliche Bevölkerung aus kleinen Reisbauern, Fischern und so weiter, die vor allem im Norden und Osten des Landes lebt. An denen lief die Politik stets vorbei, thailändische Politiker hatten nie ein Interesse an diesen dummen Bauern, die sich lange Zeit auch nicht politisch artikulierten. Über das Schicksal des Landes entschied allein ‘der Basar’, also die städtische Geschäftswelt, in Verbindung mit den Akademikern, der Armee, der Bürokratie und auch einigen (wenigen) Arbeitern.
Das änderte sich erst, als dieser Milliardär Thaksin Shinawatra, der sein Geld in der Kommunikationsindustrie gemacht hatte, die Landbevölkerung aufrüttelte. Es kam dort zu Landschenkungen, zu Saatgutverteilungen, zum Bau von Krankenstationen usw. Sicherlich nicht nur aus Philanthropie. Weil er neue Bevölkerungsgruppen zur bestimmenden Macht entwickelte, deshalb putschte das Militär 2006 gegen ihn. All die Korruptionsvorwürfe aber sind in meinen Augen vorgeschoben, weil man dann gleich sämtliche thailändischen Politiker hätte verhaften müssen. Ohne Korruption läuft dort nichts, Korruption zählt zum Brauchtum. Thaksin bedrohte dauerhaft, gestützt auf neue Wählerschichten, die Privilegien der alten Eliten und der Geschäftswelt, die eine neue charismatische ‘Thaksin-Familiendynastie’ heraufdämmern sahen, einen ‘Volkskaiser’, wenn man so will.
Seither ist das Land gespalten: In die Mehrheit der ‘Rothemden’, in die bäuerliche Bevölkerung der Thaksin-Anhänger also, und in die Minderheit der ‘Gelbhemden’, die aber die Städte, die Medien und nahezu alle Machtgruppen auf ihrer Seite haben.
Der Ex-Vize-Premier Sutheb Taughsuban, Anführer der derzeitigen Demonstrationen, ließ 2010 noch die Demonstrationen der ‘Rothemden’ niederkartätschen. Eine Anklage deswegen stand ihm unmittelbar bevor. Zugleich sorgte neuerdings eine ‘Reisgesetzgebung’ für Unruhe: Die derzeitige Regierung hatte einen Garantiepreis für Reis festgesetzt, was zwar den kleinen Reisbauern im Norden nutzte. Zugleich aber schadete dies den thailändischen Reisexporteuren wie auch den städtischen Arbeitern, die an niedrigen Reispreisen Interesse haben, wo sie schon keine Lohnerhöhungen durchsetzen können.
Das in etwa ist die derzeitige Gemengelage. Die Amnestie- und Korruptionsfrage ist demgegenüber zweitrangig und vorgeschoben – sie wird aber hier unentwegt kolportiert, weil unsere Journalisten sich nur bei thailändischen Journalisten informieren. Die Medien in Bangkok aber sind von A bis Z ‘gelb’.
Welche Chancen hat nun dieser erneute Aufstand der ‘Gelben’? Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder interveniert wieder das Militär und es verhilft den ‘Gelben’ mit einem erneuten Putsch zur Macht. Oder aber die ‘Gelben’ machen sich allmählich mal daran, auch die vitalen Interessen der Bevölkerung im Nordosten nach Sozialversorgung und Infrastruktur zu bedienen, statt nur Basar-Interessen zu kennen. Nur so könnten sie Thaksins bäuerliche Machtbasis allmählich erodieren lassen. Bleibt aber alles so, wie es ist, werden die ‘Rothemden’ weiterhin alle Wahlen gewinnen, um kurz darauf weggebissen zu werden …
Nachtrag: Einzig die NYT hält mal wieder die Fackel des guten Journalismus hoch: ““A rising number of critics of the protest, including many in the Thai news media, describe it as a blatant power grab by a minority unable to win elections.” Tscha – und deswegen hätten die ja auch gern eine Diktatur stattdessen …
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