Wolf Schneider plus SEO – das ist grob gesagt die Formel, die uns Claus Hesseling auf seinem Blog ‘Onlinejournalismus’ für das bessere Schreiben im Netz anpreist. Da es sich um einen ‘Spickzettel’ im pdf-Format handelt, kann ich hier nur auf diese Fundstelle verlinken, nicht auf die einzelnen Zitate. Im Kern handelt es sich um die Transformation journalistisch ‘bewährter Methoden’ ins Netz hinein. Selbst wenn jetzt alle Netz-Eleven diesen Zettel hinter den Monitor klemmen würden, folgen daraus – wie ich fürchte – keine besseren Texte.
Zunächst einmal ist Hesselings ABC-Schule in sich wiedersprüchlich. So fordert Hesseling gleich anfangs, die “wichtigsten Informationen am Anfang des Textes” und vor allem gleich am “Anfang jeden Absatzes” zu bringen. Um wenig später dann den beliebten “Cliffhanger” zu fordern, damit aber auch eine ‘Verrätselung’ des Textes und einen ‘Informationsstau’, um Neugier und Lust aufs Weiterlesen zu erzeugen. Beides geht nicht zusammen: Entweder volle Aufklärung gleich im ersten Satz – oder aber die Verschiebung der Lösung tiefer in den Text hinein, so wie bei einem guten Kriminalroman. Der Leser steht ratlos davor – das ‘Navi’ sagt ihm: Fahren sie rechts und links …
Zweitens preist uns der Verfasser eine ‘Focussierung’ der Texte an, so wie in Markworts Faktenschleuder, ein Magazin, das bekanntlich dem Erfolg derzeit eher hinterherstratzt. Durch Infokästen und Tabellen sollen lange Texte nach dem “Sushi-Prinzip” aufgebrochen werden, es entstehen jene bunten ‘journalistischen Schlachteplatten’, die angeblich beiden, dem eiligen wie dem genauen Leser, gleichermaßen etwas zu bieten haben – das Resultat ist eine infolegende Narrationssau.
Die Abkehr vom Feuilleton empfiehlt uns Hesseling dann beim ‘Headlining’: “Sinnvolle statt witzige oder feuilletonistische Überschriften“, natürlich vollgepackt mit googlefreundlichen ‘Keywords’. Mal abgesehen von dem ewigen Missverständnis des Unterhaltsamen – dass also eine Headline, die ‘witzig’ ist, dies nur sein kann, wenn sie auf Sinn verzichtet – davon abgesehen, wird ein solch strohtrockenes Verfahren den Leser nur gähnen machen. Er denkt, er habe aus der Headline schon alles erfahren und düst weiter zur nächsten Station im Netz.
In die gleiche Kategorie gehört auch der Ratschlag, die Sätze “short & simple” zu halten, weil “niemand sich beschweren wird, wenn etwas zu einfach zu verstehen ist“. Tscha – warum lesen Erwachsene eigentlich keine Kinderbücher? Wir stoßen hier auf die ewige Unterschätzung des Lesers, die es jedem eher Schreibunbegabten erlaubt, seine Defizite auf den Rezipienten zu übertragen, nach dem Motto: “Der Leser will es doch so” (war das nicht ein schöner langer Satz?). Wahr ist förmlich das Gegenteil: Mit dem Hundetrab kurzer Sätze unterfordern wir den Leser und kegeln ihn aus dem Text. Die Regel lautet: Jeder Satz sei so lang wie der Gedanke, den er formuliert. Wirkt der Satz unverständlich, dann arbeite an deinem Stil. Unbequem? Klar ist das unbequem – für den Schreiber nämlich!
Auch der Hinweis, auf Adjektive und Adverbien zu verzichten, ist in dieser Absolutheit Blödsinn. Die dritthäufigste Wortklasse der deutschen Sprache dient dazu, emotionale und sinnliche Qualitäten zu benennen. Wer auf sie verzichtet, amputiert die Realität und seine Möglichkeiten. Das Problem sind ja nicht die Adjektive, sondern die ‘rundgelutschten Adjektive’: der ‘erfolgreiche’ Geschäftsmann, die ‘eingetretene’ Entwicklung, die ‘blutige’ Schlacht usw. Gleichen sie ausgetretenen Stanzenpantoffeln, zeigen uns Adjektive nur, dass hier ein Schreiber zu faul war, selbst etwas zu erleben. Zum Thema habe ich anderswo schon etwas geschrieben. Selbst der Verzicht auf Relativsätze ist nur demjenigen zu empfehlen, der den Umgang mit ihnen nicht beherrscht. Die weite Welt der Texte bevölkern berühmte Relativsatzvirtuosen en masse – man muss es aber können.
Vieles von dem, was Hesseling schreibt, ist wiederum völlig richtig. Der Gebrauch von Zwischenüberschriften kann sinnvoll sein, das Setzen von Hyperlinks ist ein Muss, via Kommentarspalte einen Dialog mit dem Leser zu führen ebenfalls. Publikumsfreundlich ist auch das Schreiben im Aktiv, ohne Fremdwörter und Politiker-Worthülsen.
Wesentliche Dinge fehlen mir wiederum – zum Beispiel der Hinweis auf rhetorische Stilfiguren, die einem Text erst jene Würze geben, die den Leser an unser Buffet lockt. Auch ein Satz zur Rhythmik von Texten hätte dem ‘Spickzettel’ gut getan. Wenn ich oben schrieb “so wie in Markworts Faktenschleuder“, dann doch nicht deshalb, weil ich hier ‘witzig’ sein wollte, sondern vor allem deshalb, weil so auf einen daktylischen Auftakt drei Trochäen folgen. Rhythmischer Wechsel bringt Bewegung in den Text, so erzeugen wir den Eindruck einer Straffheit, die den Leser bindet, hier fängt die Kunst dann an – weil sich der Leser in der Dynamik unseres Textes wiegen darf. Der Rhythmus kann sogar Unsinn plausibel machen – weitgehend sinnfreie Sprichwörter wie “Es ist noch kein Meister vom Himmel gefallen” oder “Das Leben ist kein Ponyhof” gelten doch nur deshalb als ‘wahr’, weil sie rhythmisch gebunden sind.
Eins ist jedenfalls klar: Gerade weil die Konkurrenz der Schreibenden im Netz so unüberschaubar geworden ist, führt nur noch Kunst zum Erfolg, dahergeklappertes Handwerk allein genügt nicht mehr. Und ‘Journalismus plus SEO’ ist auch kein Königsweg. Selbst ohne die große ‘Google-Optimierung’, wie sie SEO-Experten empfehlen, habe ich die Homepages von Kunden mit ihren ‘Kernbegriffen’ schon auf die Titelseiten von Google geführt. SEO wird ‘gehypt’ und überschätzt, der Zügel ist nicht das Pferd …
Neueste Kommentare