Sie gehen einfach nicht mehr dicht genug heran, unsere Katastrophenjournalisten. Prompt regiert in ihren Texten überall das Klischee. Jeder Tropensturm hinterlässt dann eine “Spur der Verwüstung“, die “Leichenberge türmen sich“, und natürlich liegt der übliche “Verwesungsgestank in der Luft“. Garniert wird das Ganze mit einer Zierpetersilie aus Zitaten Verantwortlicher. Mein Gott, wie anschaulich! So nahe brachte mich ja noch niemand ans Geschehen heran …
Um den Ironiemodus wieder abzuschalten – Vergleichbares habe ich bis in die Wortwahl hinein schon tausendmal gehört, es ist ein verbaler Lego-Kasten. Diese Sprache rüttelt bestimmt keinen Leser aus seiner Bierruhe auf. Die Reportage wird hier zur Sofa-Literatur – vorhersagbar wie eine Merkel-Rede. Als hätten diese Reporter beim Anblick der erstbesten Leiche auf dem Bürgersteig die Straßenseite gewechselt, ein duftendes Taschentüchlein vor die Nase gepresst, um ja nicht Auge in Auge mit dem Tod zu geraten. Wie anders klang dies noch bei Hemingway, nach jenem Wirbelsturm, der im Jahr 1935 fast Key West von der Landkarte geblasen hätte:
“Zwei Frauen, nackt, vom Wasser hoch in die Bäume geschleudert, verschwollen und stinkend, ihre Brüste groß wie Ballons. Fliegen zwischen ihren Beinen. Dann stellst du fest, wo du dich befindest, und erkennst sie als die beiden sehr netten Mädchen, die drei Meilen von der Fähre eine Sandwichbude und eine Tankstelle betrieben haben. Wir haben neunundsechzig Leichen an Stellen gefunden, die für niemanden zugänglich gewesen waren. Indian Key ist vollkommen kahlgefegt, kein einziger Grashalm mehr da, und der hochgelegene Mittelpunkt war mit lebenden Muscheln, Krebsen und toten Muränen übersät, die vom Meer dorthin gespült worden waren. Der ganze Meeresgrund ist da rübergegangen. Ich hätte diesen miesen literarischen Bastard, der seinen Hurrikan braucht, nur zu gern dabeigehabt, um ihn mit der Nase ein bißchen da reinzustoßen” (Brief an Maxwell Perkins, 7. Sept. 1935).
Ein solche Beschreibung geht unter die Haut, gerade wegen der furchtbaren Details. Das eben ist der Unterschied zwischen denen, die nah genug herantreten können, und jenen, die mit ihren verzärtelten Gemütern Katastrophen nur aus der Vogelperspektive ertragen, um beim Schreiben dann zu den beruhigenden Dauerlutschern aus Sprachstanzen zu greifen, statt zur Kotztüte. Noch einmal Hemingway:
“Jetzt sagen sie, keine der Leichen soll an Ort und Stelle verbrannt oder begraben werden, sie sollen alle in Arlington begraben werden; das würde bedeuten, etwas zu transportieren, was so verwest und aufgedunsen ist, daß es platzt, wenn man es hochhebt; verfault, eitrig, verwest, ekelhaft, völlig unmöglich einzubalsamieren – man müsste sie sechs, acht Meilen zum Boot transportieren, dann auf dem Boot noch einmal zehn bis zwanzig, ehe sie in Kisten kommen; und das Ganze stinkt buchstäblich zum Kotzen – unterwegs nach Arlington!”
Für Hemingway sind die Opfer des Hurrikans infolge des Verwesungsprozesses bereits völlig entmenschlicht, als ‘etwas’ oder ‘es’ kann er die stinkenden Gebilde nur noch bezeichnen, alles Erbarmen verliert er angesichts der desolaten Lage. Das ist die wahre Rationalität der Katastrophe, solche dichten Beschreibungen gehen unter die Haut! Für den Ökonomen und FDP’ler in uns hält er dann auch noch ein Argument bereit dafür, weshalb diese verrotteten Stücke Fleisch unbedingt über Land verfrachtet werden müssen. Ein Argument, das folgerichtig keinesfalls auf Pietät beruht, sondern auf blankem Geschäftssinn:
“Die meisten Proteste gegen das Verbrennen oder Begraben kamen von den Leichenbestattern aus Miami, die 100 Dollar pro Toten bekommen.”
Solche Reportagen aus Katastrophengebieten würde ich mir wieder mal wünschen, meine Damen und Herren von der schreibenden Zunft!
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